[3792 km] Irkutsk

[3792 km] Irkutsk

Einen Tag vor Silvester erreichen wir Irkutsk. Da wir den Sonnenuntergang über dem Baikal vom Zug aus gesehen haben, erreichen wir die Stadt zweieinhalb Stunden später in der Dunkelheit. Nach der Ankunft im Hotel machen wir uns auf die Suche nach dem Abendessen, ich bemerke draußen dass ich meinen Hut vergessen habe. Halb so schlimm, so kalt ist’s ja nicht!

Wieder im Hotel hat Arne Probleme beim Beziehen der Bettwäsche. Nach fünf recht erfolglosen Minuten macht er diese für den Untergang der Sowjetunion verantwortlich. Wie soll denn der Fünf-Jahres-Plan auch erfüllt werden, wenn man das erste Jahr mit Bettmachen verbringt.

Am nächsten Morgen machen wir uns erst nach Sonnenaufgang auf in die Stadt. Frisch ist es draußen trotzdem noch!

Aber es ist sonnig! Es fühlt sich kalt an, aber längst nicht so kalt, dass man in Bewegung nicht länger draußen bleiben könnte. Immerhin haben wir ja beide unseren Hut dabei!

In Irkutsk liegt in den Straßen nicht übermäßig viel Schnee, hier wird gut geräumt. Oder so ähnlich. Man wartet glaube ich eher ab bis sich der Schnee einige Zentimeter dick festgetrampelt hat, dann kratzt man irgendwann mal den Weg frei. In meiner schwäbischen Wahlheimat wäre sowas mindestens ein größerer Skandal.

Jedenfalls ist Irkutsk eine schöne Stadt:

Aber nicht überall wurde der Schnee geräumt…

Bei solchen Schneemengen und kann ich meinen Spieltrieb natürlich nicht bremsen, in Stuttgart schneit es einfach zu selten und zu wenig!

Hier und da zeigt sich entsprechend, dass seit Winterbeginn doch schon einiges gefallen ist:

Vor allem Grünflächen wurden nicht geräumt:

Der sibirische Parkwolf.

Parks sind hier allgemein ein bisschen merkwürdig. Man muss dort praktisch ausbrechen.

An so einem sonnigen Tag schlägt dann natürlich auch die Mittagshitze zu:

Wer es nicht genau erkennen kann: Das Thermometer zeigt -26 Grad. Das ist zwar ziemlich warm, aber laut Skala sind wir trotzdem noch 3-Sterne-TK-Produkte. Also alles im blauen Bereich.

Bei so frühlinghaften Temperaturen kann man wunderbar durch die Stadt schlendern. An der Angara entlang, wo immer dies möglich ist – und wo der Fluss noch vom Ufer zu unterscheiden ist!

Auch hier dampft das noch nicht zugefrorene Wasser und verhindert die Weitsicht!

Nach ein paar Stunden Spaziergang erreichen wir den Staudamm von Irkutsk. Die Angara ist der Abfluss des Baikalsees, und irgendwann zu Sowjet-Zeiten wurde beschlossen, den Baikal zum Stausee umzufunktionieren. Das Wasser wurde nur um einen Meter angestaut, was aber damals dennoch alle möglichen Naturprobleme verursacht hat. Auch ein Teil der damals bestehenden Bahnlinie ist im See verschwunden und musste daraufhin neu erbaut werden.

Der Damm ist damit sehr unspektakulär und kaum als solcher zu erkennen. Nebenan liegt aber auch noch die Angara vor Anker:

Die Angara ist einer von zwei Schiffen, die früher den Schienenersatzverkehr über den See übernahmen, als noch keine Eisenbahn drumherum führte.

Die Angara und der zweite Eisbrecher Baikal wurden 1899 in Newcastle-upon-tyre in England gebaut, dort wieder zerlegt, nach Sankt Petersburg verschifft, in eisenbahngerechte Kisten umgepackt, per Bahn an den See geschafft, und dort wieder zusammengebaut. Der Prozess dauerte alleine schon ein Jahr, und wer einmal einen Ikea-Schrank zusammengebaut hat kann wohl ahnen, wieviele Schrauben übrig geblieben sein müssen. Die Baikal transportierte damals als größeres Schiff die Waggons, die Angara die Passagiere – und erst im See bemerkte man, dass die Eisbrecher-Fähigkeiten der Angara auch überhaupt nicht für den See ausreichten, und sie nur im Fahrwasser der Baikal fahren konnte.

Im russischen Bürgerkrieg wurde die Baikal dann versenkt, die Angara überstand ihn – und war noch bis 1949 im Dienst. Dann musste er repariert werden – was 11 Jahre gedauert hat, um im Anschluss festzustellen dass das Equipment an Bord nicht mehr funktionsfähig war. 1967 wurde das Schiff dann mal nach Irkutsk geschleppt, wo es im Hafen mehrere Male(!) versank. 1988 kam dann mal wieder jemand auf die Idee das Schiff zu putzen, und 1991 war es dann wieder einigermaßen tauglich.

Potentiell ist die Sowjetunion auch an der Instandsetzung dieses Eisbrechers zerbrochen (neben den anderen von uns schon gefundenen Gründen: Der Konstruktion der BAM, der Bettwäsche, und der verkochten Weltrekordportion Borsch)

Soweit zur kleinen Geschichtsstunde. Ich überzeuge mich also davon, dass der Rumpf jetzt hält

und wir können einer Tätigkeit nachkommen, für die wir beide geübt haben:

Im Bild: Arne, Arne und Arne.

So laufen wir bis zum Sonnenuntergang auf der Angara (Fluss, nicht Schiff) Schlittschuh.

Die Eisbahn hier ist wirklich einfach nur der Fluss, der vom Schnee befreit wurde. Entsprechend fährt es sich hier etwas anders als in der Eishalle in Stuttgart… Einmal haut es mich zu Boden, als ich wohl etwas zu schnell für meine Fähigkeiten und das etwas ruppigere Eis unterwegs bin. Gut gepolstert ist das aber halb so schlimm.

(Handlungsloch)

Nach der Rückkehr von Olkhon ist das Wetter etwas bedeckter. Wir besuchen unter anderem den Markt von Irkutsk.

Das interessanteste hier ist der Frischfisch:

Außerdem führt uns unsere Reise zum örtlichen Kloster:

Hier betreten wir dann sogar die erste Kirche der Tour… Wie es sich für eine orthodoxe Kirche gehört, gibt es drinnen viel Gold und Bling-Bling!

Die Uferpromenade der Angara offenbart, woher der Nebel stammt. Der Fluss ist so sehr am dampfen, dass alles in Ufernähe vernebelt ist. Bei den vorherrschenden Temperaturen (irgendwas um -25 Grad) setzt sich der Nebel natürlich überall ab.

Dazu können zum Beispiel auch mal Wimpern zählen!

Oder… Alles andere in Gesichtsnähe, wo die Luft durch den Atem zusätzlich mit Wasser versorgt wird!

Der Russe sagt sich hier aber noch “Gutes Angelwetter, steh ich mal ein bisschen am Fluss rum!“

Natürlich gibt es in Irkutsk auch wieder weihnachtliche Dekoration…

Das ganze kommt aber, wie nicht anders zu erwarten, erst im Dunkeln wirklich zur Geltung!

Einen besonderen Anblick bei Nacht bilden meiner Meinung nach zudem alle Bäume mit dünnen Zweigen, die komplett im Frost verschwinden!

An einem Abend im Hotel kommen wir mit ein paar russischen Urlaubern ins Gespräch. Die drei Frauen kommen aus Jakutsk, weit im Nordosten. Dort herrschen aktuell unter -40 Grad, im Februar können es bis zu -50 werden. Sollte die RZD es irgendwann schaffen die Eisenbahn bis in die Stadt fertigzustellen, könnte das das nächste Urlaubsziel sein…

Wie bereits im letzten Beitrag angedeutet, geht es für uns allerdings weiter, und zwar in der entgegensetzen Richtung: Am 3.1. gegen 22:30 betreten wir den Zug nach Tomsk, wo wir am 5.1. morgens um halb acht ankommen werden!

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