Fuyuan
Nach unseren Einreise-Eskapaden standen wir also gegen fünf oder sechs Uhr abends (es war auf jeden Fall schon sehr dunkel) auf der Straße vor dem Hafengebäude. Nachts im Dunkeln ankommen und auf die Suche nach einem Ho(s)tel gehen, das weckte in mit direkt nostalgische Erinnerungen! Der moderne Reisende kann heutzutage so gut wie für jeden Ort der Welt im Internet zumindest ein Hostelbett finden – nicht so in Fuyuan. Im Vorfeld weckte dies natürlich ein kleines bisschen Sorgen, ob wir auf Anhieb etwas finden würden. Google spuckte im Vorfeld ein Hotel aus, Google Maps überhaupt nichts – nach Eingabe von chinesischen Zeichen zumindest ein paar, die aber überwiegend Restaurants zu sein schienen.
Erster Versuch: Taxifahrer ignorieren (die wollen nur ihre Kommission verdienen), und Richtung des einzigen angeblichen Hostels gegangen. Dort nach Zimmern gefragt, wir wurden hinaufführt – vier Betten (aber wir hätten ein Zimmer für uns gehabt), und an einigen Wänden war sogar noch der Putz größtenteils vorhanden. Denn Amerikaner war es ein klein bisschen zu unfein, Arne und ich sind erstmal hart im nehmen: Also erstmal nach dem Preis fragen… Das war wohl zuviel des guten, der Mann bat uns unsere Sachen wieder aufzunehmen, und führte uns wieder nach unten. Eventuell wollte er nur Russen aufnehmen und bemerkte seinen Fehler zu spät, eventuell dachte er auch wir wollen das ganze Haus kaufen. Gut, wir mussten woanders suchen.
Praktisch direkt um die Ecke wartete dieses Schmuckstück geradezu nur auf uns :
Dort haben wir den nächsten Versuch gestartet, zwei Betten zu finden. Die Rezeptionistin reagierte zwar leicht überfordert und war kurz vor dem Hyperventilieren, aber mit Händen und Füßen (und etwas Google Übersetzungen) konnten wir sie dazu bringen uns die Zimmer zu vermieten. Fast. Erst brauchten wir noch etwas Bargeld, um das ganze finanzieren zu können.
Beim kurzen Gang durch den Ort stellte unser amerikanischer Freund fest: “This is exactly like North Korea!“
Um das Feeling der Stadt zu vermitteln, ist der Rest des Beitrags zur Abwechslung nicht-chronologisch verfasst.
Fuyuan ist eine sehr merkwürdige kleine Stadt. Überall Hochhäuser. Breite Straßen mit vier oder sechs Spuren. Geschäft an Restaurant an Karaokebar an Geschäft. Ich habe von einem Aussichtspunkt (am 1.10.) ein Panoramafto von der Stadt aufgenommen:
Man erkennt in der Großansicht leicht die hohe Dichte an Hochhäusern. Auf dem Foto nach links durch den Amur begrenzt, läuft die Stadt aber nach rechts noch weiter (da war leider der blöde Berg im Weg).
Ein Foto der scheinbaren Ausgehmeile, alles was leuchtet ist eine Karaoke-Bar oder eine Disco:
Die Straßen sind allesamt lang, breit, und gerade. Eine Straße sieht bei Tag auf wie die andere:
Parks innerhalb der Stadt gibt es nicht, dafür zwei große Plätze:
Wem es an dieser Stelle noch nicht aufgefallen ist: Wo sind die Menschen? Wo sind die Autos? Wer wohnt in den vielen Hochhäusern, wer braucht die sechsspurigen Straßen?
Die Antworten sind einfach: Nicht hier. Nicht hier. Niemand und niemand. Fuyuan hat laut Wikipedia 15000 Einwohner. Ein guter Teil der Häuser steht komplett leer, in den meisten Hochhäusern sind nur eine handvoll Wohnungen belegt. In Nachtaufnahmen wird dies deutlich:
In einige der angesprochenen Karaokebars haben wir hineingeschaut. Lichtspiele, laute Musik. Eine schlafende Mitarbeiterin. So sah es in jeder einzelnen aus.
Auf der Suche nach Restaurants an Tag 2 werden wir zweimal wieder hinausgebeten, weil die Angestellten zwar da sind, aber scheinbar kein Essen. Die Kellnerinnen in den entsprechenden Restaurants haben wir in Aufruhr und Stress versetzt – Hilfe, Kunde droht mit Bestellung!
Alte Gebäude in der Stadt werden abgerissen, es werden noch mehr Hochhäuser gebaut – Baut es, und sie (die Menschen) werden kommen! Auf den Straßen geht es teilweise sichtbar dörflich zu:
Während die russischen Städte (allen voran Kazan und Tobolsk) seitlich kleiner wirken als sie sind, wirkt Fuyuan wie das größte Dorf der Welt!
Die Suche nach dem Bahnhof (der 8km außerhalb der Stadt liegt, weshalb auch immer) belohnt mit folgendem Bollwerk:
Der Parkplatz davor:
Das Taxi direkt im Bild war unseres. Der Bahnhof ist größer als der Stuttgarter Hauptbahnhof. Die Ankunfts- und Abfahrtafel:
Morgens kommen zwei Züge an, diese stehen dann den Tag über herum, und fahren abends wieder weg. Fuyuan ist ein Kopfbahnhof, nördlich liegt nur noch der Amur und dahinter Russland. Es existieren sogar drei Bahnsteige – falls noch irgendwann ein dritter Zug fahren sollte? Baut es, und sie (die Züge) werden kommen?
Was macht man solange mit einer Riesen-Wartehalle ohne Menschen? Richtig, man improvisiert ein paar Badminton-Felder!
Unser Amerikaner bemerkte am ersten Abend, dass ihn interessieren würde wie die Stadt in zehn Jahren aussieht, wenn alles fertig ist. Ich bin mir sicher: Die jetzt noch akzeptablen Gebäude werden dann langsam verfallen, abgerissen, und durch neue ersetzt – eine ewige, leere Baustelle.
Auf unserem Weg zum Aussichtspunkt auf die Stadt stoßen wir irgendwann auf das Bauende:
Mein Tipp was hier gebaut wird: Ein neues Skiresort! Baut es, und sie (die Schneeflocken) werden kommen!
Unser Hotel: zig Stockwerke, bewohnbar ist vermutlich nur der sechste Stock, in dem alle Gäste untergebracht zu sein scheinen. Im Gang leuchtet ein Großteil der Glühbirnen nicht, es wirkt ein bisschen gespenstisch (und unser Amerikaner zog wieder den Nordkorea-Vergleich).
Willkommen im Wahnsinn Chinas – all das in dieser Ausprägung werden wir in den großen Städten auf der Hauptroute so sicher nicht erleben! Fuyuan ist gewissermaßen vollkommen charakterlos – vermutlich schwer nachzuvollziehen, aber damit ein unglaublich großes Überraschungshighlight der Reise für uns (unseren Hang zum absurden habe ich Jaaa oft genug erwähnt..)!
So, damit wäre genug über diese Stadt philosophiert, es gibt natürlich auch weniger absurdes zu berichten.
Chinesisches Essen ist ziemlich gut, viel, und günstig! Das Frühstück haben wir noch im Hotel am Buffet eingenommen (was mir im Allgemeinen nicht besonders gefällt, da ich der Ansicht bin dass wir uns als Spezies aus der Jäger- und Sammler-Phase herausevolutioniert haben):
Sicher kein optisches Highlight, aber endlich mal wieder etwas Gemüse (und im Preis inbegriffen).
In den Restaurants der Stadt (wenn man denn eines findet das Essen anbietet) sieht das ganze schon sehr viel besser aus:
Hähnchen süß-sauer, gebraten oder frittiert, und im Fass Honig gebadet. Sehr nahrhaft, lecker, unglaublich viel (der Teller war zu Beginn etwa doppelt so hoch gefüllt), dazu zwei Schüsseln Reis für 5 Euro. Hier wurde vermutlich das ganze Huhn serviert.
Ein paar Menschen gab es dann doch in der Stadt (dem Dorf?), so dass zeitweise auch ein Markt zustande kam!
Fisch scheint gut zu gehen, ob geräuchert,
frisch,
oder leider auch noch lebendig:
Worin genau der Sinn liegt, die Fische in der einzigen Wanne am Leben und zappeln zu erhalten, wissen wohl nur die Verkäufer.
Scheinbar eine weitere lokale Spezialität:
…Baumpilze…?
Reguläres Gemüse und Obst wurde ebenfalls angeboten, dieses kann wer möchte auch in der Stadt beim trocknen beobachten!
Besonders Chilis wurden wirklich überall getrocknet:
Die Stadt soll übrigens einigermaßen beliebt sein für Einkaufstripps von Fuyuan aus – als Mitteleuropäer erwartet man dann von China natürlich Elektronik-Läden ohne Ende, von denen wir aber keinen einzigen sahen… Schuhe, Kleidung und Gürtel schreiben beliebt zu sein! Ach ja, und wo all die Russen in der Stadt waren (die zum Beispiel mit uns auf dem Schiff waren)? Tja… Die Antwort ist uns die Stadt leider schuldig geblieben!
Alles in allem war es tatsächlich ganz gut, dass wir in Fuyuan (oder Klein Pjöngjang) einen Tag mehr hatten, um die Verrücktheit Chinas voll aufnehmen zu können! Hier konnten wir auch wieder ohne Angst vor dem langen Arm des Gesetzes unser Feierabendbier trinken, da ja sowieso niemand zum beschweren in der Nähe war (soweit ich weiß, ist Alkohol in der Öffentlichkeit in China auch nicht verboten):
Man erkennt auf dem Foto zwei Dinge:
- Der Dosenbierfreitag fiel diese Woche auf einen Samstag (in China ist halt alles anders)
- Unser nächstes Ziel auf den Dosen: Harbin!
Die Weiterfahrt dorthin wird kurz und hoffentlich schmerzlos – ich bin gespannt wie sich die chinesischen Züge im Vergleich zu den russischen schlagen (und schon im voraus dankbar dass nur noch kurze Fahrten mit 12 Stunden anstehen)!
Ein Gedanke zu „Fuyuan“
Ich fühle mich grade nach 2012 zurück versetzt… „Häuser ohne Bewohner, Straßen ohne Autos, Bürgersteige ohne Chinesen…“ China muss man schon mal erlebt haben 😀 Wird euch jeder Geldschein als Wechselgeld auch immer mit beiden Händen und mit Verbeugung und lächelnd zurück gegeben? Sprecht mal die oder denjenigen auf Mao-Tsetung an… Bei uns haben die dann angefangen die ganze Zeit nur noch seinen Namen zu wiederholen.